Eigentlich bin ich mittlerweile ziemlich abgehärtet, was das Alleinreisen betrifft. Ecuador, Iran, Türkei, Marokko, Albanien oder Usbekistan: vor keinem dieser Länder hatte ich allzu großen Bammel.
Doch mit Indien war es anders. Nach allem, was ich im Vorfeld im Internet gelesen hatte, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben richtig Angst vor einer Soloreise.
Angst, dass ich in Indien keinen Schritt in der Öffentlichkeit gehen könnte, ohne von Männern begafft, blöd angemacht, verfolgt oder begrapscht zu werden.
Angst, dass ich mich deswegen täglich einschränken müsste. Dass ich in kein Restaurant für Einheimische gehen könnte, keine Züge und Busse benutzen könnte und bei Dunkelheit keinen Fuß mehr vor die Tür setzen dürfte.
Angst vor einer Vergewaltigung, wie sie anderen Touristinnen in den letzten Jahren in Zügen, am hellichten Tag in Basaren, beim Zelten und in Hotelzimmern widerfahren ist.
Rein rational war mir zwar klar, dass dies tragische Einzelfälle waren, doch unsere Medien haben es mittlerweile geschafft, ganz Indien als ein Land der “Vergewaltigungskultur” zu brandmarken. Ute von Bravebird hat eine verblüffende Statistik errechnet, laut der es in Deutschland wahrscheinlicher sei, Opfer einer Vergewaltigung zu werden, als in Indien. Die konkreten Zahlen sollte man zwar wegen der hohen Dunkelziffer mit Vorsicht genießen, aber dennoch führt der Artikel glasklar die fehlende Verhältnismäßigkeit vor Augen, die bei diesem Thema vorherrscht.
Indien war eigentlich nie eins meiner Traumziele, doch die Hochzeit einer meiner besten Freundinnen in Ahmedabad war die perfekte Gelegenheit, mir einmal selbst anzusehen, was die Backpacker und Hippies schon seit Jahrzehnten auf den Subkontinent zieht. Fünf Wochen lang habe ich im November 2015 Indien alleine mit dem Rucksack bereist, von Nord nach Süd.
Alleine Reisen als Frau in Indien – so war es wirklich!
Abgesehen von gelegentlichen Gaffern hat sich keine meiner Ängste bewahrheitet. Die meisten Männer auf der Straße haben mich ignoriert oder höchstens neugierig beäugt, was ich ihnen aber nicht mal übel nehmen kann, denn als blonde Frau sticht man nun mal heraus wie ein bunter Hund. Begrapscht wurde ich kein einziges Mal.
Ich habe das Land fast ausschließlich per Zug in der günstigen Sleeper-Klasse bereist und hatte auch hier keinerlei Schwierigkeiten. Im Gegenteil, oft haben sich die Männer und Frauen im Zug besonders um mich gekümmert. Ich konnte auch ohne Probleme in einfachen Esslokalen speisen, auch wenn ich oft die einzige Frau war.
Die Menschen waren fast ausnahmslos unheimlich freundlich und haben mir jederzeit Hilfe angeboten, wenn ich nur ein bisschen verloren aussah.
Meine unangenehmen Erlebnisse mit Männern waren glücklicherweise sehr wenige. Auf einer Bustour von Mysore nach Ooty schreckte ein Mann nach einem unverfänglichen Gespräch nicht einmal im Beisein seiner Frau und seiner kleinen Kindern davor zurück, mich zu fragen, ob ich ihn später allein treffen könnte und ob mein Vater etwas dagegen hätte, wenn er mich mal in Deutschland besuchen käme. Widerlich, aber ich habe ihn zurecht gewiesen und für den Rest der Tour einfach ignoriert.
Ebenfalls im Gedächtnis geblieben ist mir ein Halbstarker in Jaipur, der mir von seinem Fahrrad aus “Do you want to fuck?” zurief und eine Sekunde später von einer Auto-Rikscha angefahren wurde – instant karma, sozusagen 😉
Ein paar Mal wurde ich mehr oder weniger heimlich fotografiert – übrigens auch von Frauen! Da ich selbst gerne Menschen fotografiere, habe ich meistens nichts gesagt (außer bei schmierigen jungen Typen) und einfach im Gegenzug auch ein Foto von den Indern gemacht.
Dazu kamen noch ein paar anzügliche “Hello, Lady!” Rufe auf dem Nachhauseweg vom Abendessen, komischerweise nur in Kerala – das war’s. Im Vergleich zu Macho-Ländern wie Kuba, Nicaragua, Brasilien, Italien, Montenegro oder Albanien fand ich Indien hinsichtlich Belästigungen wirklich harmlos.
Die wahren Unannehmlichkeiten auf einer Indienreise:
1. Dreck, Lärm und mangelnde Hygiene
An dieser Stelle gibt es nichts zu Beschönigen: stinkende Müllberge, Kloaken auf offener Straße, herumkackende Kühe und das Rotzen, Röcheln und Spucken mancher Inder wird jeden sauberkeitsverwöhnten Europäer auf eine harte Probe stellen. Einfache Unterkünfte sind oft abgeranzt und wenn du viel Pech hast, bekommt Du Tausendfüßler und Kakerlaken als Zimmerkumpanen.
Bezüglich Essen kann ich glücklicherweise sagen, dass ich nur zweimal kleinere Magen-Darm-Probleme hatte, obwohl ich nach einer Woche anfing, gelegentlich Street Food zu essen (nur an gut besuchten Ständen), kleine Lokale zu besuchen und mir mit Leitungswasser die Zähne zu putzen. Kulinarische Experimente müssen also nicht zwangsweise in einer Katastrophe enden, aber leider kenne ich auch genug Traveller, die ins Krankenhaus mussten.
2. Tuktuk-Fahrer, Schlepper und andere Abzocken
Tuktuk-Fahrer sind manchmal sehr dreist und verlangen einfach den 5-fachen Preis. Ein guter Richtwert für Touristen sind 20 Rupees pro Kilometer. Bei fast jeder Fahrt wegen dem Preis herumdiskutieren zu müssen ist trotzdem nervig.
An sehr touristischen Orten wird es passieren, dass Dir scheinbar hilfsbereite Menschen Auskünfte geben oder den Weg zeigen und sich dann als Schlepper entpuppen. Meistens wird behauptet, dass ein Verwandter oder Freund einen Laden besitzt und Du Dir den doch mal anschauen könntest – der Schlepper wird eine Provision bekommen, sogar wenn Du nichts kaufst. Als die schlimmsten Abzock-Städte gelten Varanasi, Jaipur, Agra und Delhi.
3. Die Armut
Mit Armut wirst Du in Indien unweigerlich konfrontiert werden. Für Bettler kannst Du ein paar Kekse, Obst oder Wasser bereithalten. Bitte bedenke gerade bei bettelnden Kindern, dass Du mit Geldspenden mehr Schaden als Nutzen anrichten kannst.
4. Das grosse Interesse der Inder
So herzerwärmend das Interesse der Inder an Touristen ist, so anstrengend kann es auch manchmal werden. Besonders bei Touristenattraktionen, die von Indern aus dem ganzen Land besucht werden, wirst Du extrem oft um Fotos gebeten werden und tausend mal die gleichen Fragen beantworten müssen. Trotzdem ist mir das ehrlich gesagt immer noch lieber, als von den Einheimischen völlig gleichgültig behandelt zu werden.
5. Geduldsproben und schlechte Planbarkeit
Auf eigene Faust durch Indien zu reisen wird definitiv nervenaufreibend. Züge sind ausgebucht und manchmal mehrere Stunden zu spät, Busse fahren wegen Straßensperren nicht.
In Indien gibt es kein “ich erledige das mal schnell”, weil Du entweder
– genau dann kein Tuktuk findest, wenn Du es am dringendsten brauchst, oder
– im Stau feststeckst, oder
– Dir eine Kuh oder eine Hindu-Prozession die Straße versperren, oder
– der Laden oder das Büro, zu dem Du gehen wolltest, ausgerechnet jetzt zu ist, oder
– Dir jemand aus Verlegenheit eine falsche Auskunft gegeben hat und Du am völlig falschen Ort gelandet bist, oder
– schon 50 Leute in der Schlange stehen und Du keine Chance hast, außer Dich (so wie alle) vorzudrängeln, oder
– Du in Flip Flops auf einem Kuhfladen ausrutscht
(ist mir alles selbst passiert, leider 😉 ).
Das sind natürlich alles Dinge, die jeden Indien-Reisenden betreffen, egal ob Mann oder Frau, alleine oder in der Gruppe. Doch mit diesem ganzen Schmarrn alleine klarkommen zu müssen und sich bei niemandem auskotzen zu können, zermürbt einen manchmal schon.
Ich wette jeder Alleinreisende wird einen Moment erleben, in dem er/sie mit Tränen in den Augen ein entnervtes “I hate India!” von sich geben wird, um nur wenige Augenblicke später wieder mit dem Land versöhnt zu sein. Aber das gehört zur Indien-Erfahrung einfach dazu und wird eine Herausforderung sein, an der Du wachsen wirst.
Süden hui, Norden pfui?
Der generelle Konsens unter Travellern lautet, dass Südindien sehr viel einfacher und relaxter zu bereisen sei als der Norden. Wegen des vergleichsweise hohen Bildungsniveaus und der geschichtlich manifestierten höheren Wertschätzung von Frauen wird besonders der Bundesstaat Kerala zum Einstieg für Indien empfohlen.
Aber das heißt noch lange nicht, dass Südindien ein Wunderland ist. Ja, in Kerala und Goa sieht man weniger Dreck als in Restindien, die Staaten sind touristisch gut entwickelt und am Meer ist das Leben sowieso lässiger. Allerdings hat Kerala ein großes Alkoholismus-Problem und die Rikscha-Fahrer in Fort Kochi waren die nervigsten Schlepper, die ich in Indien erlebt habe. Kerala war die einzige Region in Indien, in der ich mehrmals von Männern blöd auf der Straße angemacht wurde.
Was ich damit sagen möchte: erwarte auch von Südindien nicht zu viel und lass Dir Reisepläne nach Nordindien nicht sofort ausreden.
Indien mit Privatfahrer bereisen?
Falls Dir eine Indien-Reise auf eigene Faust doch nicht ganz behagt, aber Du auch keine Gruppenreise machen möchtest, könntest Du auch einen Privatfahrer engagieren. Das würde Dir das Heckmeck mit sämtlichen Rikschas, Bussen und Zügen ersparen, und Du hättest jederzeit einen einheimischen Mann an deiner Seite. Für mich persönlich wäre das zwar nichts, da ich mich viel zu eingeengt fühlen würde, aber bei Pixelschmitt findest du 5 Gründe, warum Du Indien mit einem Fahrer erleben solltest.
4 Tools für Deine Sicherheit
- OLA Cabs: Die indische Konkurrenz zur UBER Taxi App operiert mittlerweile in allen wichtigen indischen Städten. Für Alleinreisende hat die App viele Vorteile: Name und Kennzeichen des Fahrers sind registriert, der Preis ist vorgegeben und die Route des Fahrers wird live überwacht – bei irgendwelchen Abweichungen kommt sofort ein Kontrollanruf von der Zentrale.
- Maps.me App: Im Gegensatz zu GoogleMaps kannst du mit Maps.me Karten und Navigation für komplette Länder herunterladen und offline benutzen. So kannst Du Dich jederzeit, auch ohne Internetverbindung, über GPS orten und orientieren. Die App ist auch nützlich, um Distanzen zu bestimmen und die Kosten für Rikschas besser abschätzen zu können.
Und nachfolgend zwei Dinge, die ich persönlich nicht für notwendig halte, aber die Dir ein Gefühl von Sicherheit geben können:
- Notfallpfeife: Es klingt vielleicht auf den ersten Blick lahm, aber Angreifer lassen sich am ehesten mit Lärm abschrecken. Wenn Dir die Stimme zum Schreien versagt, könnte eine automatische Trillerpfeife helfen. Benutze bitte niemals Waffen, die gegen Dich verwendet werden können, wie Pfefferspray oder ein Messer.
- Alarm-Türstopper: Wenn Du Dich nachts im Hotel sicherer fühlen möchtest, könnte ein Alarm-Türstopper helfen.
6 Tipps für alleinreisende Frauen in Indien:
1. Kleide dich angemessen.
Indien ist ein sehr konservatives Land und Frauen zeigen im Normalfall weder Schulter noch Bein. Niemand verlangt, dass Du indische Kleidung trägst, aber ich bezweifle stark, dass Du Dich mit Tops, Ausschnitt und kurzen Shorts wohl fühlen wirst (eventuelle Ausnahme: Goa). Mit einer kurta (indische Tunika) und einer Leggins bist du immer passend gekleidet. Am Main Bazaar von Delhi kannst Du Dich mit günstigen kurtas für je 2 Euro eindecken.
2. Übernachte nicht in den billigen Absteigen beim Basar
Nicht, dass alle billigen Unterkünfte generell schlecht wären, aber den Fehler, in einer Marktgegend zu übernachten, habe ich einmal in Paharganj (Main Bazaar von Delhi) gemacht. Diese dreckige Gegend ist für deine erste Nacht in Indien absolut ungeeignet. Suche Dir besser etwas im wohlhabenderen Süden der Stadt oder geh ins Zostel. Achte in jedem Hotel darauf, dass das Zimmer von Innen gut absperrbar ist.
3. Lauf spätnachts nicht alleine herum
Da die Sonne recht früh untergeht, ist es fast unvermeidbar, dass Du im Dunkeln alleine herumlaufen wirst, aber es sollte wenn möglich nicht später als 20-21 Uhr sein.
4. Nutze die Frauenabteile.
In der Metro von Delhi und den 2.-Klasse-Zügen (unreserved seats) gibt es extra Ladies-Abteile. Bleib auch in Bussen vorne bei den anderen Frauen.
5. Bleib zurückhaltend im Umgang mit indischen Männern
Sei höflich, aber nicht zu nett, denn das könnte als Flirten aufgefasst werden. Vermeide direkten Augenkontakt und sei nicht scheu, wenn Dir etwas nicht passt: sag es klar und deutlich, wenn Dir eine unangenehme Frage gestellt wird oder Du nicht fotografiert werden möchtest.
6. Bleib auf dem Touristenpfad
Alleine als Frau solltest du besser an keine abgelegenen Orte fahren. Glaub mir, der Hippie-Trampelpfad ist aufregend und anstrengend genug!
Trotz der vielen nervenaufreibenden Momente bin ich sehr froh, dass ich Indien bereist habe, denn in noch keinem anderen Land habe ich so viel Herzlichkeit und Freundlichkeit erfahren. Es macht mich traurig, so oft zu lesen, dass Indien bei vielen “ganz unten auf der Liste steht”, weil man ja in kein Land reisen wolle, in dem “Frauen weniger als eine Kuh wert” seien. Solche dümmlichen Aussagen hätten auch mich fast von meiner Reise abgehalten.
Es geht nicht darum, zu beschönigen oder zu verschweigen, dass Gewalt und systematische Diskriminierung gegen Frauen in Indien existiert, aber wegen Einzelfällen ein ganzes Land zu stigmatisieren, ist nicht fair. Deswegen soll dieser Artikel ein Plädoyer für Indien sein. Denn nein, nicht alle Inder sind frauenfeindliche Monster. Indien ist so viel mehr als die negativen Schlagzeilen in den Medien. Gib dem Land eine faire Chance, und es kann Dir viel zurückgeben!
Worüber Du niemals etwas in den Nachrichten über Indien lesen wirst:
Über die Familie in meinem Zugabteil, die mit mir ihr Essen teilen möchte und auch darauf besteht, als ich mehrmals ablehne.
Über die Mädchen, die sehen, dass ich auf der Gepäckablage im 2.-Klasse-Abteil kaum sitzen kann und mir einen Sitzplatz arrangieren, trotz meiner Widerrede.
Über den Rikscha-Fahrer, der mich darauf aufmerksam macht, dass ich 100 Rupees in seinem Fahrzeug liegen gelassen habe – von dem Geld könnte er sich 5 einfache Mahlzeiten kaufen.
Über die vielen Inder, die sich aufrichtig über Touristen und das Interesse an ihrem Land, ihren Religionen und ihren Traditionen freuen.
Über die unzähligen Lächeln, die Dir an jedem einzelnen Tag Deiner Indienreise geschenkt werden.
Wie war Deine persönliche Erfahrung als alleinreisende Frau in Indien? Ich freue mich über Deinen Kommentar!
In der Serie “Allein Reisen als Frau” teile ich mit Dir meine persönlichen Erfahrungen als Solo-Backpackerin in verschiedenen Ländern. Welche Tipps kann ich Dir geben und was solltest Du als Frau in diesem Land beachten?
Teil 1: Allein Reisen als Frau in Marokko
Teil 2: Allein Reisen als Frau im Balkan
Teil 3: Allein Reisen als Frau in Istanbul
Teil 4: Allein Reisen als Frau im Iran [coming soon]
Teil 5: Allein Reisen als Frau in Indien