Couchsurfing ist für mich die vielleicht genialste Erfindung des Internets. Einheimische auf der ganzen Welt bieten dort Reisenden einen kostenlosen Schlafplatz und Gesellschaft an, organisieren Events und helfen bei allen möglichen Fragen. Seit 2007 bin ich bereits bei Couchsurfing als Gastgeberin und Reisende aktiv und habe die Plattform natürlich auch bei meiner Solo-Reise durch den Iran genutzt.
Know him as a gift from thy lord
When a guest suddenly shows at your door
– Sana’i, persischer Dichter im 12. Jahrhundert
Dass Iraner einen Gast wahrlich als “Gottes Geschenk” ansehen, durfte ich dabei am eigenen Leib erfahren, denn nicht umsonst sind die Perser weltweit für ihre Gastfreundschaft berühmt.
Von meinen insgesamt 5 Wochen im Iran habe ich also über 25 Nächte in den vier Wänden von Einheimischen verbracht.
Was macht das Couchsurfing im Iran so besonders?
Couch-Surfen ist eigentlich das falsche Wort – “Perserteppich-Surfen” wäre angebrachter, denn traditionell schläft man im Iran auf dem Boden. Als Matratze dienen oft nur 1-2 dicke Wolldecken. Klingt unbequem, war’s aber überhaupt nicht, und Dein Rücken wird’s Dir danken.
Aber was das Couchsurfen im Iran so spannend macht? Ich könnte mir kein Land vorstellen, in dem sich das Leben hinter verschlossen Türen so stark vom öffentlichen Leben unterscheidet, und in dem die Wertvorstellungen innerhalb der Gesellschaft so gegensätzlich sind.
Bei meinen Gastgebern in Teheran zeigte sich der Kontrast am stärksten. Der eine Host lebt als Junggeselle im liberalen Norden, hatte eine Freundin (für konservative Eltern ein Tabu) und nahm mich mit zu Hauspartys, bei denen ausgelassen getanzt und verbotenerweise Alkohol getrunken wurde.
Ein anderes Gastgeberpaar, beide noch keine 30 und trotz arrangierter Ehe schwer verliebt, stand täglich um 6 Uhr früh zum Beten auf. Die Frau trägt in der Öffentlichkeit einen Tschador – sie liebt es, wie sie mir versicherte – und einzig ihr Mann und andere Frauen dürfen sie unverschleiert sehen. Der große Traum der beiden ist, endlich als Hochzeitsreise den Schrein des Heiligen Imam Reza in Mashhad besuchen zu können.
Außerdem geht das iranische Verständnis von Gastfreundschaft weit über das bloße Anbieten eines Schlafplatzes hinaus. Du wirst rundum versorgt mit Essen, Transport, einem Sightseeing-Programm und wirst obendrein manchmal noch mit Geschenken eingedeckt.
So wunderbar diese Erfahrung ist, so anstrengend kann sie nach einer gewissen Zeit werden, da manche Hosts zu überfürsorglich waren, mir keine Zeit für mich gaben und meinen Willen bei ihren Plänen nicht miteinbezogen. Da ich normalerweise sehr autonom bin, brauchte ich deswegen ab und zu ein paar Tage Pause vom Couchsurfing.
Ist Couchsurfing im Iran verboten?
Nein. Erstens wäre die Couchsurfing-Webseite in diesem Fall schon längst im Iran geblockt (Facebook, Youtube und Twitter sind es ja auch). Zweitens würden sich ja dann wohl kaum über 15.000 Iraner mit einem für alle Mitglieder einsehbaren Klarnamen, Foto und Wohnort bei der Plattform anmelden.
Außerdem wurde die iranische Gastfreundschaft ja nicht erst mit der Webseite “erfunden”. Verwandte und Freunde für mehrere Tage bei sich einzuquartieren, oft auch unangekündigt, ist fester Bestandteil der Kultur des Nahen Osten.
Im Iran und der Osttürkei haben mir mehrmals Leute auf der Straße angeboten, bei ihnen zuhause zu übernachten – einfach so.
Theoretisch muss der Gastgeber seinen ausländischen Gast innerhalb von 24 Stunden bei der örtlichen Polizei registrieren – was natürlich niemand macht, denn wer möchte schon in einem Unrechtsstaat unnötig Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Binde der Polizei oder Einwanderungsbehörde deshalb nicht auf die Nase, dass du bei Einheimischen übernachtest, und nenne niemals den Namen deines Hosts, z.B. bei der Beantragung oder Verlängerung deines Visums, bei der Ein-/Ausreise oder bei einer Polizeikontrolle. Habe zur Sicherheit immer einen Alibi-Hotelnamen parat.
Aber keine Angst, so oft passieren Polizeikontrollen nicht – ich wurde in 5 Wochen nur ein einziges Mal von der Polizei auf einer Nachtbusfahrt kontrolliert (und bekam keine Probleme, obwohl ich zu dem Zeitpunkt sogar meinen Reisepass verloren hatte). Viele iranische Hosts beherbergen fast täglich Couchsurfer bei sich und machen sich überhaupt keine Sorgen. Aber trotzdem: bleib lieber diskret, um eventuelle unangenehme Folgen für deinen Host zu vermeiden.
Ist Couchsurfing im Iran gefährlich?
Wenn man sich an ein paar Grundregeln hält, finde ich Couchsurfing überall auf der Welt sicher. In den 5 Wochen im Iran habe ich auch keine einzige anzügliche Nachricht bekommen, was normalerweise schon ab und zu passiert. Da IranerInnen selten alleine wohnen, couchsurfte ich fast ausschließlich bei Familien, wo ich mich viel wohler und sicherer fühlte als alleine in manchem Hotel (besonders abseits der Touristenorte).
Die grössten “Gefahren” beim Couchsurfing im Iran …?
… von Couchsurfing-Angeboten regelrecht erschlagen zu werden – allein in Teheran bekam ich auf meine offene Anfrage 50 Einladungen!
… zum großen Festtagsessen der Nachbarschaft eingeladen zu werden und von einem Hühnerhaufen von 30 fremden Frauen herzlichst aufgenommen und mit Fragen und Fotowünschen bombadiert zu werden
… von der grenzenlosen Großzügigkeit Deiner Hosts beeindruckt zu werden. Mein Gastgeber in Shiraz hatte zum Beispiel nicht nur seinen Cousin angeheuert, um uns mit dem Auto nach Persepolis zu bringen, sondern bezahlte auch noch Mittagessen und Eintritte für mich (keine Chance auf Widerrede). Und das macht er für alle seine Gäste.
… von fürsorglichen iranischen Müttern mit köstlichster persischer Hausmannskost verwöhnt zu werden, oft begleitet mit den Worten: “Für Dich haben wir heute etwas besonderes gekocht!”
… dich wie ein Depp zu fühlen, wenn du mal wieder an einen dieser unglaublich gebildeten Iraner gerätst, die sich so sehr für deutsche Kultur interessieren und mit dir über Goethe, Nietzsche und Schopenhauer reden möchten und du selbst… keine Ahnung hast 😉
… dich zu fragen, ob du jemals in deinem Leben all die dir entgegengebrachte Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Großzügigkeit zurückgeben kannst.
Also: TRAUT EUCH! : )
★
Das Buch “Couchsurfing im Iran” von Stephan Orth
Ich staunte nicht schlecht, als ich im Reisebuch-Bestsellerregal “Couchsurfing im Iran: Meine Reise hinter verschlossene Türen” entdeckte.
Wie genial: endlich ein Buch, das den Iran einer breiten Masse von seiner menschlichen Seite zeigen möchte. Dem Autor Stephan Orth spreche ich meinen Respekt dafür aus, einem so kontrovers diskutierten und komplexen Land ein Buch zu widmen und dabei auch deutlich das menschenverachtende Regime zu kritisieren. Schließlich nimmt dafür in Kauf, in naher Zukunft nicht mehr in den Iran reisen zu dürfen.
Fast laufend konnte ich meine eigenen Erlebnisse und Erkenntnisse als Couchsurferin im Iran in den Erzählungen des Buches wiedererkennen. Dabei war es für mich besonders interessant, welche Erfahrungen der Autor speziell als Mann gemacht hat. Ich habe mich köstlich amüsiert über den unverhofften Verkupplungs-Abend und die wortgetreu abgebildeten SMS von liebestollen Iranerinnen, die den sowieso schon witzigen Erzählstil wunderbar auflockern.
Sehr aufwertend sind auch die grandiosen Fotografien, die illustrierte Landkarte und der hochwertige Einband.
Stephan Orth bemüht sich zwar, seine sehr treffenden Beobachtungen im historischen und kulturellen Kontext zu erklären, hätte aber für meinen Geschmack noch viel tiefer gehen können, selbst wenn das Werk offensichtlich zur Unterhaltung dienen soll.
Detaillierte Beschreibungen zu Sehenswürdigkeiten wird man ebenfalls vergeblich suchen. Mir gefällt aber, dass Stephan Orth an viele ungewöhnliche Orte gereist ist, die bei den meisten Reisenden nicht auf dem Plan stehen und auch erfahrene Iranreisende hier noch neue Eindrücke gewinnen können.
Besonders kritisieren möchte ich die Vermarktung des Buchs. Nicht nur in dessen Inhaltsangabe, sondern auch in vielen anderen Publikationen wird immer wieder behauptet, dass Couchsurfing im Iran “offiziell verboten” sei. Wie ich weiter oben erklärt habe, ist das eine Lüge, die wohl den Verkauf des Buchs ankurbeln soll – so klingt die Story natürlich gleich viel aufregender.
Die im Klappentext so reißerisch angekündigten “Bikinipartys” und “Sadomaso-Geheimtreffen” entpuppen sich ebenfalls als harmlos. Und zuletzt die Stammtischniveau-Tagline “Urlaub bei den Mullahs” – ist sowas wirklich notwendig? Wenn ich in ein christliches Land reise, mache ich dann auch “Urlaub bei den Pfarrern”? Wirklich extrem schade, all das hätte das Buch doch gar nicht nötig.
Fazit: “Couchsurfing im Iran” ist eine unterhaltsame und kurzweilige Lektüre, die das vielleicht missverstandendste Volk der Welt auf eine sehr sympathische Weise porträtiert. Ich persönlich hätte mir zwar mehr Substanz und weniger Sensationsgier gewünscht, aber bin trotzdem froh um die positive Aufmerksamkeit, die der Iran durch dieses Buch erfahren wird – auf dass es dabei helfen möge, die vielen Vorurteile über das Land abzubauen.
BUCHVERLOSUNG *** BEENDET ***
Gewinn ein Exemplar von “Couchsurfing im Iran”!
Was Du dafür tun musst: Hinterlass mir unter dem Artikel einen Kommentar (mit gültiger E-Mail Adresse!) und verrate mir, ob du schon mal Couchsurfing gemacht hast, und wenn ja, in welchem Land Du bis jetzt Deine schönste Erfahrung hattest. Ich bin gespannt!
Die Gewinnerin ist Christina (Nachweis). Herzlichen Glückwunsch!
Offenlegung: Herzlichen Dank an den Piper-Verlag für das Rezensions- und Gewinnspielexemplar.