Kürzlich wurde in der Reiseblogger-Szene eine hitzige Debatte über das Thema “Ethik und Reisen” entfacht. Dabei wurde unter anderem gefordert, dass Scharia-Länder wie der Iran von Touristen boykottiert werden sollten.
Da mir gelegentlich vorgeworfen wird, dass ich wohl für die Unterdrückung von Frauen sein müsse, wenn ich in ein Land wie den Iran reise, möchte ich heute gerne mal zur Frage Stellung nehmen, ob eine Reise in den Iran moralisch vertretbar ist.
Vorgeschichte
Schon im Mai 2014, als ich die Pläne für meine große Iran-Reise verkündete, wurde ich von einer etablierten deutschen Reisebloggerin über mehrere Kanäle verbal attackiert. Sie verurteilte mich dafür, wie ich nur “Werbung” für ein Land mit solch menschenverachtender Politik machen könne, und wies mich auf die damals aktuelle Verhaftung der Macher des “Happy Tehran”-Videos hin.
Darin sieht man sechs junge iranische Frauen und Männer, wie sie in der iranischen Hauptstadt zu Pharrell Williams Hit “Happy” tanzen. Sie brachen damit mehrere Scharia-Gesetze auf einmal: Tanzen in der Öffentlichkeit, Missachten der islamischen Kleiderordnung und “unsittliches Verhalten” zwischen Unverheirateten. Die Beteiligten wurden innerhalb weniger Tage nach Veröffentlichung des Videos verhaftet.
Ich fahre also in ein Land, das Frauen systematisch diskriminiert und junge Menschen dafür verhaftet, dass sie Spaß haben. Und dieser Fall ist noch harmlos gegen die im Iran betriebene Verfolgung von Homosexuellen, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und religiösen Minderheiten.
Die Vorwürfe dieser Bloggerin haben mir damals ziemlich zugesetzt und mich immer wieder zum Nachdenken gebracht. Wie könnte ich es auf die leichte Schulter nehmen, wenn mir unterstellt wird, ethisch falsch zu handeln?
Ist eine Reise in den Iran moralisch vertretbar?
Mittlerweile habe ich darauf für mich eine ziemlich leicht zu begründende Antwort gefunden: ja, ich finde eine Reise in den Iran moralisch vertretbar.
Denn ob ich, oder ausländische Touristen in der Gesamtheit, in den Iran fahren oder nicht, wird schlicht und ergreifend nichts an der dortigen Menschenrechtssituation ändern.
Gegner argumentieren an dieser Stelle gerne, dass der große wirtschaftliche Einfluss des Tourismus berücksichtigt werden muss: wer in ein bestimmtes Land reist, kurbelt die Wirtschaft an und unterstützt damit ihrer Meinung nach ein repressives System wie den Iran.
Dabei scheint vergessen zu werden, dass eine gute Ökonomie in erster Linie dem Volk zugute kommt und eine höhere Lebensqualität schafft. Die Mehreinnahmen aus dem Tourismus könnten zwar ganz theoretisch für den Unterhalt von Gefängnissen benutzt werden, aber eben genauso gut zum Ausbau der Infrastruktur, für die Bezahlung von Lehrern oder für das Gesundheitssystem.
Im Umkehrschluss müsste ein Ausbleiben der mittlerweile jährlich 5 Millionen ausländischen Touristen dem Regime die Existenzgrundlage entziehen.
Doch selbst wenn es möglich wäre, eine weltweite Boykott-Kampagne gegen den Iran als Reiseland aufzuziehen und dadurch eine signifikante wirtschaftliche Schwächung des Landes zu erreichen, ist es meines Erachtens extremst unwahrscheinlich, dass dadurch eine Änderung des politischen Verhaltens herbeigeführt werden kann.
Der Westen betreibt seit Jahrzehnten eine strenge Embargo-Politik gegen den Iran, Kuba oder Nordkorea, und konnte dadurch offensichtlich nichts dergleichen bewirken. Warum sollte dies also durch einen Reiseboykott gelingen?
Boykotts treffen die Falschen…
Reiseboykotts sind selten eine gute Idee, wie Oliver vom Weltreiseforum vor kurzem in einem klugen Artikel darlegte. Wie alle Wirtschaftssanktionen träfe ein Reiseboykott die Menschen am härtesten, die am wenigsten für die Gräueltaten des Regimes können: das Volk!
Wer zu einem Reiseboykott aufruft, nimmt billigend in Kauf, dass zehntausende Jobs verloren gehen.
Dabei haben die Iraner eh schon genug unter den internationalen Sanktionen gelitten: die horrende Inflation machte die Landeswährung fast wertlos, der Ausschluss Irans aus dem internationalen Bankensystem verhinderte den Import lebenswichtiger Medikamente, und es kam sogar überdurchschnittlich häufig zu Flugzeugabstürzen, weil Ersatzteile nicht beschafft werden konnten.
… und führen zu Isolation statt Austausch
Darüber hinaus tun Reiseboykotts dem Land, seiner Kultur und den meisten dort lebenden Menschen unrecht und führen zu mehr Isolation.
Man nimmt sich als Reisender die Chance, die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort persönlich kennenzulernen, mit Leuten zu reden und zu sehen, wie sie wirklich leben und denken. Wer selbst in den Iran fährt, wird erkennen, dass die meisten Iraner zwar konservativ sind, aber religiösen Extremismus ablehnen, und dass viele junge Menschen sogar Atheisten sind, die den Islam geradezu verabscheuen (hier ein Artikel über meine Begegnungen im Iran).
Man stelle sich vor, man würde uns Deutsche im Ausland nur anhand von negativen Medienberichten beurteilen und uns pauschal als xenophobe Monster abstempeln, die Flüchlingsheime anzünden und zulassen, dass osteuropäische Mädchen in unser Land verschleppt und zur Prostitution gezwungen werden? Wie unfair würden wir uns dabei behandelt fühlen?
Und was sagen die Iraner dazu?
Ich bin im November 2014 also für insgesamt fünf Wochen quer durch den Iran gereist und hatte über Couchsurfing die Gelegenheit, 25 Nächte bei Einheimischen zuhause zu verbringen (hier ein Artikel über meine Couchsurfing-Erfahrungen im Iran).
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Iraner sehr gekränkt über einen Reise-Boykott wären, da sie wieder einmal nur auf ihr menschenfeindliches Regime reduziert werden.
“What is your idea about Iran?” war die Frage, die mir von den Einheimischen am meisten gestellt wurde. Sie bringt zum Ausdruck, wie sehr die Iraner unter dem schlechten Image ihres Landes leiden, das unsere Medien ja immer gerne als “Schurkenstaat” betiteln.
Während die westlichen Medien den Iran fast immer nur mit dem islamische Regime assoziieren, identifizieren sich die Iraner selbst über ihre jahrtausendealte persische Geschichte, Kultur und Architektur: sie befolgen alte persische Feste wie Nowruz, respektieren die prä-islamische Feuerreligion des Zoroastrismus und sind unheimlich stolz, wenn Touristen beispielsweise Persepolis besuchen, eine alte Hauptstadt des antiken Perserreichs (hier mehr Reisetipps für Iran).
Als ich begann, auf Instagram Fotos aus dem Iran zu posten, verdreifachten sich meine Follower innerhalb kürzester Zeit. Alles Iraner, die fast durchdrehen, weil sich jemand sich für ihr Land interessiert, es dort schön findet und das auch noch mit der Welt teilt.
Ich ergriff die Gelegenheit und fragte in einem meiner Posts einfach mal nach: Seht ihr es als Feigheit an, wenn ich als Reisebloggerin nicht über die Menschenrechtsverletzungen im Iran berichte? Eine Iranerin schrieb dazu:
Nein, du machst es richtig! Mit deinen Bildern zeigst du allen die schönen Seiten des Iran. Über unsere politische Lage wissen wir doch selbst Bescheid. Der Iran ist ein schönes Land mit gastfreundlichen Leuten – Politik ist etwas anderes!
Über Couchsurfing hatte bei meiner Iran-Reise zwei besondere Begegnungen: ich habe den Sohn des seit 2011 inhaftierten Menschenrechtsanwalts Abdolfattah Soltani in Teheran getroffen, sowie die Nichte des Arztes, der die unglaublichen Vergewaltigungsfälle in den Gefängnissen nach der grünen Revolution von 2009 an die Öffentlichkeit brachte und dafür auf offener Straße erschossen wurde.
Warum wären zwei so schwer betroffene Opfer des Regimes so gastfreundlich zu mir, wenn ich als Touristin ebendieses Regime angeblich “unterstütze”? Für die Iraner ist diese Argumentation schlichtweg nicht nachvollziehbar.
Wenn ich Iraner auf das “Happy Tehran”-Video ansprach, fanden es die meisten übrigens recht amüsant, dass so ein “harmloser Fall” es in die westlichen Medien geschafft hat.
Nicht, dass irgendjemand das Geschehene gutheißt, aber es muss für die Beteiligten des Videos sonnenklar gewesen sein, dass sie dafür in den Arrest kommen werden. Gegen eine Kaution und eine öffentlichen Entschuldigung kamen die Macher des Videos auch sofort wieder frei. Ein Freund meinte dazu:
Für euch ist klingt so etwas vielleicht traurig. Für uns ist das einfach die Realität in unserem Land.
Die Doppelmoral im Bezug auf Iran
Auf meinen Instagram-Frage bekam sogar eine Antwort von Bahman Kalbasi, Korrespondent bei BBC Persian in New York, der als iranischer Journalist mehrere Jahre ins Gefängnis musste und deshalb in die USA auswanderte.
Ihn stört bei dieser Thematik vor allem die Doppelmoral, die in Bezug auf Iran vorherrscht: Menschen, die Reisen in den Iran für verwerflich halten, wenden die gleichen moralischen Maßstäbe komischerweise oft nicht bei Ländern wie Kuba, China oder den USA an.
Jeder soll für sich selbst entscheiden, ob er grundsätzlich in Länder fahren möchte, in denen Frauen-, Menschen-, Tier- und/oder Umweltrechte verletzt werden – und dann bitte auch konsequent sein.
Ich musste schon schmunzeln, wenn Menschen verlautbaren, dass sie durch ihre Reisen keine Länder mit repressiven Systemen unterstützen möchte, aber kein Problem damit hätte, nach Kuba zu fahren.
Wenn Menschen nicht in den Iran fahren möchten, weil sie sich im Urlaub den Scharia-Gesetzen wie dem Kopftuchzwang nicht beugen möchten, oder eine Reise in ein solches Land nicht ihren moralischen Prinzipien entspricht, ist das völlig legitim.
Wenn aber Blogger meinen, ihre persönlichen Entscheidungen und eigene ethische Überzeugung zum Standard für alle erheben zu müssen und “Blacklists” von No-Go-Reiseländern veröffentlichen, ist das für mich an moralischer Überheblichkeit und inhärenter westlicher Arroganz nicht zu überbieten.
Seit wann ist Reisen ein politisches Statement?
Noch armseliger ist es, andere Menschen für die Wahl eines nach ihrer Auffassung “ethisch unkorrekten” Reiseziels zu verurteilen. Wie anfangs erwähnt, wurde mir tatsächlich schon mehrmals vorgeworfen, dass ich wohl für die Unterdrückung von Frauen sein müsse, weil ich ja, überspitzt gesagt, fröhlich mit dem Kopftuch auf dem Schopf durch den Iran reiste.
Hm, soso? Hat jemand schon mal einem USA-Reisenden unterstellt, dass er wohl die Kriege gegen Irak und Afghanistan gut findet? Ist jeder Israel-Tourist automatisch Zionist? Bin ich für die Abholzung des Regenwaldes, weil ich in Brasilien Urlaub mache? Jemandem nur aufgrund der Wahl seines Reiseziels ein politisches Statement zu unterstellen, ist einfach nur dämlich.
Whitelists als sinnvolles ethisches Konzept
Um das Thema abzuschließen, möchte ich noch das interessante Konzept der non-profit Organisation Ethical Traveler vorstellen. Anstatt Länder an den Pranger zu stellen und Blacklists zu veröffentlichen, werden jedes Jahr die zehn besten ethisch korrekten Reiseziele gewählt.
Auf diese Weise sollen Reisende dazu ermuntert werden, diese Länder mit einem Besuch für ihre positive Entwicklung zu “belohnen”. Kriterien sind dabei unter anderem die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter im Tourismus, Tierschutz, Umweltschutz und Nachhaltigkeit.
Obwohl der Iran wegen der Menschenrechtsverletzungen kategorisch von den Top 10 ausgeschlossen ist, wurde er 2014 (neben Kuba und Ägypten) zu einer “Destination of Interest” ernannt, mit folgender Begründung:
Obwohl diese Länder noch nicht als ethisch korrekte Reiseziele betrachtet werden können, können aufgeschlossene Reisende durch einen Besuch viel lernen. Wir glauben, dass es manchmal notwendig ist, hinter den “Medien-Vorhang” zu treten und sich selbst durch direkten Kontakt mit Einheimischen über kontroverse Orte zu informieren. Dynamische Prozesse des sozialen und politischen Wandels aus erster Hand mitzuerleben ist eine unvergleichliche Erfahrung.
Mehr Artikel zum Iran
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- Couchsurfing im Iran: Mythos und Wahrheit
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36 comments
Fast zwei Jahre nach der Veröffentlichung bin ich hier auf deinem Artikel gelandet und finde deine Gedankengänge sehr gut und richtig. Mir hat damals mal ein Freund, kurz nachdem bei mir zum ersten mal die Idee aufkam nach Israel zu reisen, gesagt dass er da niemals hinreisen würde wegen der Politik. Er war da gerade in die USA ausgewandert. Zwei Monate später wurde Trump gewählt und nun wohnt er immer noch da.
Liebe Stefanie, ich bin gerade durch Zufall über diesen Artikel gestolpert und kann Dir nur zustimmen. Lieber mit offenen Augen und Herzen durch Länder wie den Iran reisen als zwei Wochen all inclusiv in der Dom Rep oder Kuba zu sein und nicht einen Fuß vor die Anlage setzen.
Liebe Grüße
Paonia
Erst einmal danke für deinen ausführlichen Artikel. Du hast mir eine Menge Stoff zum Nachdenken geliefert. Ich bin meist recht skeptisch wenn es um Reisen in Länder wie z.B. den Iran oder China geht. Auf der anderen Seite reizen mich ganz besonders die Kulturen oder die historischen Bauten (z.B. der Sommerpalast oder die chinesischen Tempelanlagen). Bis heute bin ich da zu keiner klaren Meinung gekommen, auch wenn ich oft zu der Meinung tendiere, um gewisse Länder sollte man evtl. doch einen Bogen machen. Aber dein Argument, daß es den Ländern selber bzw. dem herrschenden Regime kaum etwas ausmacht, ist ziemlich stichhaltig. Es ist wohl – ähnlich wie Reisen und Nachhaltigkeit – eine Gradanderung und sollte von Fall zu Fall entschieden werden, was für einen selber als vertretbar erscheint. Ein klares Schwarz oder Weiß gibt es sowieso in den seltesten Fällen.
Nochmal danke für deinen ausführichen Artikel.
Grüße von der Rabin
Amen! Vielen Dank fuer diesen Artikel. Ich wünschte er wäre auf Englisch, damit ich ihn jedem senden könnte, der mich aufgrund meiner Färöerreise als ignorant oder schlimmeres bezeichnet hat… Aber ich denke, jemand der sich dazu entschlossen hat, andere zu verurteilen, macht das so oder so 🙁
Ich finde toll, dass du beschreibst, was die Menschen über die Darstellung ihres Landes im Ausland denken – das habe ich auch auf den Färöern bemerkt – Leute fühlen sich durch der Verallgemeinerung unfair behandelt, oder sogar angegriffen. Und mehr Isolation und Abschottung trifft vor allem die, die nach Kontakt suchen.
Ich würde so gerne in den Iran fahren, weil mir wirklich jede die da war, grossartiges berichtet 🙂 Danke!!
Hallo Steffi,
auf Deinen Artikel bin ich gestoßen, weil ich mich gerade unter anderem auf den Iran vorbereite, den ich vorhabe mit meiner Familie zu bereisen. Wir werden spätestens Anfang September unsere knapp 11-monatige Reise mit unserem Bus starten, auf die ich mich schon sehr freue.
Anfangs hatte ich großen Respekt vor dem Iran, weil ich nur dieses Bild vor Augen hatte, dass die Medien von diesem Land und seiner Politik zeichnen. Über mehrere Artikel und Reiseberichte wie Deinen, gehört der Iran inzwischen zu den Ländern auf der Reise, auf die ich mich am meisten freue.
Auch das mag in den Ohren vieler dadurch nicht “korrekt” klingen, aber auch ich bin der Meinung, dass das eigene Bild der Länder, das man sich durch die persönlichen Erfahrungen erschafft, vieles in ein anderes Licht rückt und der Fokus wieder auf die Menschen fällt und nicht mehr verstellt wird durch die bloßen Fakten, die uns über die Medien erreichen.
Danke für Deine Artikel und die Inspiration mit dem couchsurfing. Ob das wohl auch mit 4 Personen klappen kann?
Viele Grüße, Irene
Hallo Irene, danke für deinen Beitrag!
Es gibt sicher Couchsurfer, die auch 4 Personen aufnehmen 🙂
Viel Spass! Steffi
Ein klasse Artikel.
Gibt es überhaupt ein Land in der Welt in das man bedenkenlos reisen dürfte, wenn man auch noch Waffenexporte, Produktionsverlagerung in Billigländer etc. pp. alles mitwerten würde? Und wie sieht es mit den Traditionen der Länder aus? Afrikanische Länder meiden wegen der Beschneidung der Mädchen?
Meine Erfahrung ist ähnlich wie deine: Die Menschen in den “kritischen” Ländern freuen sich über das Interesse, möchten ihre wahre Welt zeigen.
Was wissen wir eigentlich wirklich über diese Länder? Doch nur das was uns westliche Medien vermitteln.
Interessant fand ich zum Beispiel eine Unterhaltung in Botswana über Elfenbein: Wenn die EU es zulassen würde, dass Afrika Elfenbein verkaufen dürfte, wäre genug Geld da für Schulen, Schutz der Naturparks etc.
Ich verstehe die Gründe warum die EU es verbietet. Schnell würden wieder Hetzjagden auf Elefanten entstehen. Afrika besitzt jedoch so viel natürlich gewonnenes Elfenbein (auch Elefanten sterben ja mal und im Chobe Nationalpark leben sogar viel zu viele Elefanten) dürfen aber nicht damit handeln. Klar..die Grenze ist schwer..wie will man kontrollieren ob das Elfenbein wirklich von einem Elefanten stammt, der eines natürlichen Todes gestorben ist. Dennoch finde ich es teilweise extrem arrogant von Europa Fremdbestimmung auf anderen Kontinenten zu leisten. Der Kolonialismus lebt scheinbar doch noch.
Wir messen so viele Dinge nur mit unseren westlichen Sinnen. Und deswegen finde ich es so wichtig genau in solche Länder zu reisen und zu versuchen mir ein Bild zu machen von dem wirklichen Leben dort.
In Kambodscha z.B. war ich im ersten Moment extrem erschrocken von dem ganzen Müll im Meer. Dann habe ich aber gesehen wie kärglich und ärmlich die Menschen dort (über)leben und mir wurde bewusst: Wenn man nicht weiß wie es am nächsten Tag weiter geht, ist Müllrecycling bestimmt nichts worüber man als erstes nachdenkt. Was ich damit sagen will: Erst wenn man wirklich mal vor Ort gewesen ist, darf man (wenn überhaupt) urteilen. Erst dann kann man das Leben überhaupt ansatzweise verstehen.
Danke für den einsichtsreichen Beitrag, Janine! Sehe es genauso wie du.
Ein guter Artikel.
Aber mal ehrlich, welche Länder achten bitte ernsthaft auf Tier- und Umweltrechte. Ich weiß, in anderen Regionen der Welt hat man nicht unbedingt Tiere zum Kuscheln im Haus leben und das Huhn landet vom Käfig direkt in den Topf, von den Hundefestivals in China mal ganz abgesehen (die hier im Westen regelmäßig Aufmerksamkeit auf sich ziehen). Allerdings wird nirgends so viel Fleisch gegessen, wie in westlichen, reichen Ländern, was für Tier, Umwelt, Klima und den Regenwald katastrophal ist. Und Hand aufs Herz, Reisen ist wunderbar :-), jedoch ist jeder Flug auch eine Klimabelastung. Ich lebe beispielsweise zurzeit in Norwegen, ein wunderschönes Land. Norwegen hat sich seit einigen Jahren auf die Fahne geschrieben, eine Umweltnation zu sein. Diese Politik wird auch teilweise durchgesetzt durch eine massive Förderung von e-Autos, wobei angemerkt werden muss, dass der Transportsektor klima- und umwelttechnisch eher eine weniger wichtige Rolle spielt. Gleichzeitig wird weiter intensiv der Fischfang und die Lachszucht verfolgt, wofür x-Tonnen Soja aus Südamerika eingeführt werden. Weiter im Norden schießen die Schweinefarmen wie Pilze aus dem Boden.
Lange Rede kurzer Sinn, es gibt für viele eine Art “No-Go”-Punkt, der einem von einer Reise in ein gewisses Land abhält. Trotzdem halte ich es für Unsinn, sich selbst auf eine moralisch höhere Stufe zu stellen, andere Länder/Kulturen zu bewerten und mit Blacklists um sich zu werfen.
Den letzten Absatz kann ich nur so unterschreiben – danke für den Kommentar!
Hallo Steffi!
Toller Artikel! Ich wünschte, ich könnte so gut argumentieren!
Hab Deinen Artikel mal auf meinem Blog verlinkt. Ich hoffe, das ist ok für Dich.
Herzliche Grüße
Ulrike
Ich freue mich über die Bewegung, die über unsägliche Blacklist-Artikel in die Bloggerszene gebracht wurde 🙂 Wie Du weißt, arbeite ich ja auch gerade an einem Artikel. Da werde ich den hier auf jeden Fall mit einfließen lassen 😉 🙂
Auf alle Fälle hast du in puncto Doppelmoral Recht. Für USA und co werden nicht die gleichen Maßstäbe angesetzt. Für mich hat Reisen immer viel mit neuen Erfahrungen und Eindrücken zu tun und die bekommt man nun mal nicht, wenn man nur nach Ibiza oder Malle fliegt und sich 2 Wochen im Club Hotel einsperrt. Mit deiner Iran Reise hast du sicherlich bei vielen Menschen ne Menge Vorurteile abgebaut und das ist viel wert. Ich bewundere dich für deine Reisen, weil ich es mich nicht allein trauen würde. Außerdem denke ich, dass jedes Land mehrere Facetten hat und man nicht die Bevölkerung für die verfehlte Politik verantwortlich machen kann. LG Myriam
Für moderne Radikalfeministinnen ist so gut wie alles ein politisches Statement. Das ist der Grund, warum ich micht seit langen explizit als Antifeministisch bezeichne und dabei zugleich versuche deutlich zu machen, dass ich deshalb nicht Frauenfeindlich oder gegen Gleichberechtigung bin. Auch in den Angriffen auf dich zeigt sich wieder einmal, dass aus der feministischen Bewegung eine hochgradig faschistische geworden die Grundsätzlich allen und jeden diffarmiert, der nicht in ihr Weltbild passt. Schön, dass du die Geduld aufbringst darauf mit einem derart reflektierten Aritkel zu antworten.
Hallo Steffi,
vielen, vielen Dank für diesen reflektierte Antwort auf die “Reisen und Ethik”- Diskussion! Ich bin wirklich froh, dass du auch die Meinungen von Menschen aus dem Iran mit einbeziehst- Als Außenstehende, die teilweise noch nicht einmal in dem Land waren, (wie das leider häufig der Fall war), eine übergeordnete Diskussion darüber zu führen was richtig und was falsch ist, ist einfach nur absurd! Deine Gegenbeispiele zeigen auch wunderbar die Doppelmoral der ganzen Diskussion auf und die Schräglage, mit der viele die Welt betrachten.
Liebe Grüße
Chrissy
Danke Chrissy!
Dein Lob freut mich besonders, weil ich deine Antworten in jener Diskussion auch sehr durchdacht und reflektiv fand!
(Ich finde deinen Blog übrigens super! 🙂 )
Klasse Artikel. Nachdem ich in den letzten Wochen vermehrt Artikel über die sogenannte “Reiseethik” gelesen habe, war ich doch erstaunt, wie viel Zuspruch diese Artikel gefunden. Meiner Meinung nach trifft dein Statement den Nagel auf den Kopf. Es ist sehr erfrischend, deine nüchternen und voreingenommenen Einstellungen niedergeschrieben zu sehen! Danke und weiter so!
Danke! (ich hoffe du meinst “unvoreingenommen”, hehe)
Hallo Steffi, sehr reflektierter Artikel. Mich nervt diese verlogene Doppelmoral. Andere an den Pranger stellen und selbst nicht besser handeln und Maßstäbe setzen a la ich mach mir die Welt so wie es mir gefällt…..
danke Eva! dein Support damals war wirklich nett von dir! wird zeit dass wir uns mal wiedersehen 😉
“Denn ob ich, oder ausländische Touristen in der Gesamtheit, in den Iran fahren oder nicht, wird schlicht und ergreifend nichts an der dortigen Menschenrechtssituation ändern. Und wenn mein Handeln keine negativen Folgen nach sich zieht, bzw. das Unterlassen der Handlung keinen positiven Effekt hat, kann es in meinen Augen auch nicht als moralisch verwerflich betrachtet werden.”
Bentham und andere Konsequentialisten wären sehr glücklich mit dieser Logik und Kant dreht sich jetzt gerade im Grab herum 😉
Ich bin bei Bentham und finde es total albern etwas nur deswegen zu tun um ein “gutes Gefühl” zu haben oder ein “Zeichen zu setzen”. Entweder ein Boykott bewirkt etwas oder ich boykottiere nicht.
Wie Du, glaube ich, dass ein Boykott von Reisezielen in den meisten Fällen nichts bewirkt und ich glaube auch, dass Tourismus im Iran und vielen weiteren Reisezielen positiv zu bewerten ist und nicht nur wegen den wirtschaftlichen Faktoren.
Eine Ausnahme ist für mich Nordkorea, weil es dort schlichtweg unmöglich ist unabhängig von staatlichen Institutionen zu reisen. Jeder Euro, den Du ausgibst landet direkt beim Staat. Außerdem ist die Reisefreiheit fast vollständig eingeschränkt.
Kritisch sehe ich z.B. auch den Tourismus in Myanmar. Dank der korrupten und streng limitierten Vergabe von Hotel-Lizenzen für Auslandstouristen, landen auch hier viele Touristen-Euro in den falschen Taschen. Auch die Reisefreiheit ist stark eingeschränkt.
Ich glaub jeder Philosoph kriegt bei meinem Artikel nen Anfall, wie laienhaft ich mit den Wörtern Ethik und Moral hier um mich schmeisse 😉
Der Teil mit “.. und ausländische Touristen in der Gesamtheit” war mein stümperhafter Versuch, den kategorischen Imperativ anklingen zu lassen, aber das hab ich wohl verbockt 😉
Ja bei Nordkorea oder Myanmar ist das nochmal ne andere Geschichte, aber das sollte trotzdem jeder für sich entscheiden.
Der Imperativ ist prinzipiell in Ordnung
(ehrlich gesagt nur in seiner erweiterten Fassung aka Platin-Regel)
Was Kant neben dem Imperativ noch befürworterte war die Handlungsethik: Es geht um die “gute Tat” und nicht um die guten Konsequenzen. D.h. “gut” ist gleichzusetzen mit “gut gemeint”.
Da gibt es auch die Geschichte mit dem Axtmörder…
@Flo
Ich finde, dass der kategorische Imperativ durchaus auch auf diese Frage anzuwenden ist. Er besagt ja, dass wir uns vor einer Tat überlegen sollten, ob wir wünschen, dass diese eine allgemeine Maxime wird.
Ein Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen halte ich generell für sinn- und wertvoll – auch wenn natürlich nicht jede Reise diesen Austausch und das Verständnis fördert.
Insofern würde ich mir durchaus wünschen, dass mehr mutige Frauen wie Stefanie sich ein eigenes Bild vom Iran machen und die islamophobe Propaganda selbsternannter Beschützer des Abendlandes hinterfragen.
Nebenbei: Trotz bekannter Tucholski-Bonmots finde ich die Handlungsethik ein wichtiges Beurteilungsinstrument für eine Tat. Liesse man sie komplett wegfallen, müsste man konsequenterweise eine Rechtsprechung befürworten, die einen Mord gleich bewertet wie ein Missgeschick mit Todesfolgen.
@Oli:
Man muss unterscheiden zwischen:
a) eine negative Tat bestrafen
b) eine positive Tat bewerten
Bei a) sollte ein Unterschied zwischen Unfall und Absicht gemacht werden, also Handlungsethik
Bei b) geht es um den Nutzen, also Konsequenzialismus
Wenn also jemand boykottiert obwohl ein Boykott nutzlos ist, dann ist das vielleicht gut gemeint, aber trotzdem keine ethisch richtige Tat, weil damit nichts bewirkt wird.
Auch was den kategorischen Imperativ angeht, ist es nicht so einfach: In einer pluralistischen Gesellschaft scheisse ich auf Deine allgemeine Maxime, weil Deine Medizin vielleicht mein Gift ist.
Deshalb Kants spätere Version des kategorischen Imperativ, ohne die Forderung einer allgemein gültigen Maxime:
“Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.”
So weit ich weiß gleichbedeutend mit der Platin-Regel:
“Behandle andere so, wie sie selbst behandelt werden wollen.”
http://www.flocutus.de/lifestyle-design-toleranz/
@Flo
Guter Punkt. Da stimme ich dir bei.
Ein intelligenter und spannender Beitrag mit vielen Denkanstößen. Ich lese deine Texte immer sehr, sehr gerne.
Merci! 🙂