Auf meiner Reise durch den Iran durfte ich dank Couchsurfing 25 Nächte in den vier Wänden von Einheimischen verbringen. Dabei habe ich die grenzenlose Gastfreundlichkeit der Iraner erfahren, aber auch oft die bedrückende Realität über das Leben in der islamischen Republik.
Wie funktioniert das mit der Liebe in einem Land, in dem nicht nur die konservativen Moralvorstellungen der Elterngeneration, sondern auch die strengen Gesetze der Scharia mit dem modernen Weltbild der Jugend kollidieren?
Vier Geschichten über die Liebe im Iran:
ELAHE
Schon seit zehn Minuten sehe ich Elahe dabei zu, wie sie voller Glückseligkeit durch ihr Zimmer schwebt. Anmütig bewegt sie Handgelenke, Schultern und Becken zu den traditionellen persischen Rhythmen.
“Nur beim Tanzen kann ich all meine Sorgen vergessen“, sagt sie, als sie sich nach ihrer Vorführung zu mir auf ihr kleines Bett setzt. Zu gerne würde sie ihren Freund in ihr kleines Reich einladen und auch für ihn tanzen. “Aber das wird nie passieren. Meine Eltern könnten niemals akzeptieren, dass ich einen Freund habe.”
Kennengelernt haben die beiden sich an der Uni, wo Elahe Jura studiert.
Und weißt du, was das Beste ist? Er glaubt auch nicht an Gott!
Sie strahlt. “Ich dachte schon, ich sei der einzige Mensch, der so denkt. Du glaubst nicht, was das für eine eine Erleichterung für mich war.”
Neben der Staatsreligion Islam ist es im Iran gesetzlich erlaubt, Christ, Jude oder Zoroastrier zu sein – Atheismus ist jedoch verboten und wird von den konservativen Teilen der Gesellschaft nicht toleriert.
Da Elahe die Beziehung geheim halten muss, trifft sie ihren Freund nur an öffentlichen Plätzen. Händchenhalten, Küssen oder jegliche andere Art von Körperkontakt sind da natürlich tabu.
Doch nicht nur das: im Iran dürfen sich Frauen nur mit ihrem Ehemann oder männlichen Verwandten auf der Straße zeigen. Eine Freundin von Elahe wurde einmal mit ihrem heimlichen Freund von der Polizei aufgegriffen und in Gewahrsam genommen. Die Eltern mussten das Pärchen von der Wache abholen, was natürlich furchtbar unangenehm war.
Jedes mal, wenn ich meinen Freund im Park oder im Café treffe, habe ich Angst, dass uns das gleiche passiert. Warum dürfen wir nicht einfach frei und glücklich sein?
BAHMAN
Bahman wirkt etwas besorgt, als wir durch Yazd spazieren, eine der konservativsten Städte im Iran.
“Wenn uns jemand fragt, was wir hier machen, dann sag bitte, das wir uns nicht kennen. Ich bin nur ein netter Passant, der dich zum Hotel bringt! Okay?”
In Wirklichkeit bin ich mit meinem 21-jährigen Couchsurfing-Gastgeber auf dem Weg zu einem Café, um seine Freunde zu treffen.
Bahman studiert Ingenieurwesen. Nicht, weil es ihm gefällt, sondern weil es der Studiengang ist, den ein Einser-Schüler im Iran nun mal zu studieren hat.
In der iranischen Gesellschaft herrscht ein eigenartiges Konkurrenzdenken vor: was der Nachbar hat, muss ich auch haben, sei es das Geschirr, das Auto, der Studiengang der Kinder oder eine Nasen-OP. Er weiß nicht, wie er es seinen Eltern beibringen soll, dass er eigentlich Schauspieler werden will.
Wenn ich Schauspielerei studieren würde, wären sie sehr enttäuscht von mir. Als angehender Ingenieur bin ich aber ihr ganzer Stolz.
Kaum sind wir im Café angekommen, bekomme ich einen Anruf von einer Couchsurferin, die mich in Yazd treffen möchte. Ich reiche Bahman mein Handy. “Könntest du Sanaz bitte erklären, wo wir sind?”
Er sieht mich völlig entgeistert an.
– “Aber wie heißt sie mit Nachnamen?”
– “Weiß ich nicht. Warum denn?”
– “Ich kann ein mir unbekannte Frau nicht beim Vornamen ansprechen! Das geht nicht!”
Sichtlich beschämt nimmt er das Telefonat entgegen. In der Zwischenzeit unterhalte ich mich mit Bahmans drei Freunden. Als sie mich nach meiner Meinung zu ihrem Land fragen, kommen wir unweigerlich auf das Thema Frauenrechte zu sprechen.
“Wir wissen, dass im Westen viel darüber geredet wird. Wir wünschen uns auch, dass Frauen im Iran endlich nicht mehr gesetzlich diskriminiert werden.”
Aber weißt du was? Für uns Männer ist es auch nicht immer leicht! Ohne Geld bist du als iranischer Mann ein Nichts. Für eine Hochzeit muss der Mann als Mitgift Haus und Auto bieten, die Frau besorgt nur die Einrichtung. Wo bleibt da die Gleichberechtigung?
ZAHRA
Wenn sie spricht, kann man den Blick nur schwer von ihren vollen, sinnlichen Lippen abwenden. Der perfekt gezogene schwarze Lidstrich betont ihre mandelförmigen Augen, die von markanten Brauen umrahmt sind. Zahra ist eine betörende iranischen Schönheit wie aus dem Bilderbuch, doch ihre natürliche Attraktivität reichte ihr nicht.
Meine Nase habe ich mir schon vor fünf Jahren richten lassen, gleich zum achzehnten Geburtstag. Das machen im Iran alle!
Nasen-OPs sind im heutigen Iran so normal wie der Gang zum Zahnarzt. Da die Islamische Revolution von 1979 den Iranerinnen eine strenge Kleiderordnung aufgezwungen hat, ist die Fixierung auf ein makelloses Gesicht nur eine logische Konsequenz.
Mit einem neckischen Lächeln mustert Zahra mein Profil: “Also, wenn ich mir deinen Zinken so anschaue, Steffi, dann solltest du dich auch einer Nasen-OP unterziehen!”
Wir fahren am frühen Abend auf dem Boulevard von Rasht entlang, einer liberaleren Stadt am Kaspischen Meer. Plötzlich fährt ein schickes Auto direkt neben uns her. Die zwei jungen Männer glotzen uns an und machen mit der Hand ein Kurbelbewegung. Zahra lässt das Fenster herunter und nimmt einen kleinen weißen Zettel entgegen.
Ich wurde gerade Zeugin des iranischen Anbandelungs-Rituals “Dor-Dor”: junge Männer und Frauen fahren auf der Suche nach einem Flirt die großen Boulevards auf und ab und tauschen heimlich Nummern aus. Um bei den Frauen gute Karten zu haben, leihen sich die Männer dafür oft protzige Autos von Verwandten und Freunden aus. In einem Land ohne öffentliche Partys und Bars mussten die Leute eben erfinderisch werden.
Die Telefonnummern sammelt Zahra nur zum Spaß. Sie lebt schon seit 2 Jahren mit ihrem Freund zusammen. Ohne Heirat ist das im Iran natürlich illegal.
Ich habe sehr viel Glück, dass meine Eltern liberal sind und mir das erlauben. Mein Freund und ich glauben nicht an die Ehe, aber illegal zusammenwohnen wird auf Dauer keine Lösung sein. Falls wir einmal neue Nachbarn bekommen und die uns bei der Sittenpolizei verpfeifen, dann sind wir dran.
PARDIS & MASOUD
Es ist schon Nacht, als ich völlig kaputt aus dem Taxi steige. Ich bin den ganzen Tag unterwegs gewesen, um von der türkischen Grenze zur iranischen Provinzhauptstadt Tabriz zu kommen.
“Eigentlich hoste ich gar nicht mehr, aber für dich habe ich eine Ausnahme gemacht!”, sagt Masoud, als er mich in seine Wohnung bittet. Den Grund dafür erblicke ich sogleich auf dem Sofa: seine Frau Pardis hat vor zwei Monaten ein Kind zur Welt gebracht.
Masoud bietet mir eine kleine Brotzeit zum Abendessen. Glückselig tunke ich das noch warme iranische Brot in Bauernjoghurt und frage beiläufig nach, wie sich das Paar kennengelernt hat.
“Mit Mitte Dreißig fand ich, dass es jetzt endlich an der Zeit wäre, eine Familie zu gründen. Eine Freundin hatte ich nicht, also befragte ich meine Eltern und Freunde, ob sie eine passende Kandidatin für mich wüssten.”
Das erste Treffen mit Pardis fand im Beisein der kompletten Familien bei Masoud zuhause statt. Sie zogen sofort zusammen und lebten in dreimonatiger “Zeitehe”, ehe sie dann endgültig den Bund für’s Leben schloßen. Alles natürlich im beiderseitigem Einverständnis. Pardis lächelt und fügt hinzu:
Viele Menschen im Westen verwechseln eine arrangierte Ehe mit einer Zwangsehe. Doch niemand von uns wurde zu irgendetwas gezwungen. Wir sind glücklich! Wenn es diese Tradition nicht gäbe, wäre ich jetzt immer noch allein.
Pardis ist Software-Entwicklerin und wurde durch die Hochzeit und die Geburt ihrer Tochter mitnichten zum Heimchen am Herd verdonnert. Ab dem 7. Monat ging sie in den Mutterschutz und befindet sich momentan in der sechsmonatigen bezahlten Mutterzeit. Danach wird sie wieder für 30 Stunden pro Woche in ihrer alten Stelle arbeiten.
Krippen gibt es im Iran nicht, aber ihre Mutter wird sich um das Baby kümmern. Da sich Iraner schon nach 30 Jahren Erwerbstätigkeit zur Ruhe setzen können, ist die Betreuung der Enkel eine willkommene Beschäftigung für die Frührentner.
“Wir sind eine traditionelle, gläubige Familie, aber wir wissen, dass viele Iraner heute ein moderneres Leben führen möchten. Es muss sich etwas ändern in diesem Land.“
Deswegen nannten wir unsere Tochter ‘Raha’: Freiheit.
Um die Identität meiner iranischen Freunde zu schützen, sind alle Namen und Orte geändert. Die Menschen auf den Bildern stehen in keinerlei Zusammenhang mit den im Artikel auftretenden Personen.
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