Eigentlich wollte ich schon gar nicht mehr hier sein. Nach vier Tagen Wandern, Bootfahren und Herumplantschen in Fethiye, einer der schönsten Ecken der türkischen Küste, wäre es an der Zeit gewesen, endlich Richtung Anatolien aufzubrechen. Bis zum Iran ist es schließlich noch ein weiter Weg, und schon in drei Wochen könnte der erste Schnee im Grenzgebiet fallen.
Die Rechnung habe ich ohne Kenan gemacht, der mich an meinem letzten Abend auf einen Kebab eingeladen hat. Der Verrückte ist im letzten Winter von der Türkei bis nach Nepal getrampt, im Sommer arbeitet er auf den Tourbooten in Fethiye. “Vergiss es, du fährst hier nicht weg bevor du einen Paragliding-Flug gemacht hast. Ich ruf gleich meinen Kumpel von der Agentur an und mach einen Termin für morgen aus. Passt dir 13h?“
Eigentlich hat er recht. Paragliding ist etwas was ich schon immer mal ausprobieren wollten, und wenn nicht hier, wo dann? Die Bucht von Ölüdeniz gilt als einer der schönsten Paragliding-Spots der Welt. In der Saison starten täglich etwa 600 Gleitschirmflieger vom Babadağ-Berg. Ein Tandemflug gehört schon fast zum Touristen-Pflichtprogramm – so selbstverständlich als würde man ins Museum gehen. Laut meinem Lonely Planet Reiseführer ist daran Daniel Craig schuld, der im James-Bond-Film Skyfall vom gleichen Berg gesprungen ist.
Schon am frühen Morgen bin ich also am Strand von Ölüdeniz, viel schlafen konnte ich vor Aufregung nicht. Unruhig schaue ich in den Himmel, hinter dem Babadağ ziehen Wolken auf. Je länger ich die anderen Paraglider beobachte, desto weicher werden meine Knie. Und ich soll in vier Stunden auch da oben auf 2000 Metern segeln? Ich, die sich nicht mal vom Drei-Meter-Brett springen traut und der schon auf einer einfachen Bootsfahrt schlecht wird?
Was für eine Schnappsidee! Ich blas alles ab! Entschlossen gehe ich zur Agentur und frage, ob ich mein Geld zurückhaben kann. Agenturbesitzer Ali lacht nur und holt einen Piloten her, um mich zu beruhigen.
“Wovor hast du Angst?” frägt mich Mufasser, ein glatzköpfiger, aber dafür umso bärtigerer Rockertyp in Bermudas. “Ich bin schon mehr als 2000 Mal geflogen, in der Saison starte ich bis zu fünf Mal täglich. Das Wetter ist heute perfekt, glaub mir. In zehn Minuten startet die nächste Tour und ich kann dein Pilot sein. Kommst du mit?” Mufassers Flugerfahrung imponiert mir dann doch, und lebensmüde wirkt er auch nicht. Wenn ich es nicht mache, werde ich es hinterher bereuen. Wozu also noch länger warten, ich zieh’s durch – jetzt oder nie!
Kurz darauf tuckern wir im Minibus über eine Schotterpiste auf den Babadağ, den “Vater-Berg”. Ich traue mich kaum aus dem Fenster zu schauen bei der Geschwindigkeit, mit der der dauer-telefonierende Fahrer die unbefestigten Serpentinen hinaufdüst. Nach 20 Minuten erreichen wir den in Wolken eingehüllten Startplatz auf 1700 Metern Höhe.
Dort wird nicht lange gefackelt. Mit wenigen routinierten Handgriffen schnallt Mufasser erst mir und dann sich selbst das Gurtzeug um. Er rollt den Gleitschirm auf dem Boden aus, ordnet die Seile ein wenig und befestigt die Tragegurte an sich. Nach einem kurzen Test ruft er mich zu sich und hängt kommentarlos zwei Karabinerhaken bei mir ein. Oh Gott, ist das alles? Geht’s schon los?? Noch bevor ich meinen Mund aufmachen kann befiehlt mir Mufasser loszulaufen, und nach ein paar holprigen Schritten heben wir ab in die Wolkenwand.
Erst als sich die erste Wolke lichtet, realisiere ich, in was für ein Schlamassel ich mich gebracht habe. Ich beuge mich leicht vor und sehe, wie das Kalkgestein des Babadağ zwischen meinen Füßen in ein paar hundert Metern Tiefe vorbeizieht. Wenn ich jetzt aus irgendeinem Grund aus dem Sitz falle, dann ist es aus. Mein Herz rast und ich kralle mich krampfartig an die Tragegurte. Gleichzeitig ist es ein so atemberaubendes Gefühl, in der kühlen Luft durch die Wolken zu schweben, dass ich weiß nicht ob ich vor Angst schreien oder vor Freude lachen soll. Also mache ich einfach beides gleichzeitig: ich kreische mit einem großen Grinsen im Gesicht.
Mufasser findet meine Reaktion amüsant und beginnt, mit seiner GoPro-Kamera Videos zu machen und Fotos zu schießen. Nach fünf Minuten sind wir über dem Wasser angelangt und segeln in Richtung der blauen Lagune. Der Gipfel des Babadağ ist schon in unwirklich weite Ferne gerückt. Der Ausblick über die Buchten ist überwältigend, und mit einer kleinen Freudenträne im Auge sage ich zu meinem Piloten, dass das das schönste ist, was ich in meinem Leben gesehen habe. Mufasser konnte mich durch gutes Zureden und Smalltalk sogar inzwischen so weit beruhigen, dass ich mich traue, für die Fotos die Arme auszustrecken.
Anscheinend ist Mufasser nun endgültig gelangweilt vom Herumsegeln und fragt mich:
Fährst du gerne Achterbahn?
Was hat er denn jetzt vor? “Nein, bitte keine Stunts, ich meine das ernst!“, flehe ich ihn an. Mit einem verschmilzten Lächeln zieht Mufasser an den Leinen des Gleitschirms und wir beginnen, uns schnell in einer Spirale zu drehen, so dass ich fast senkrecht auf die Erde schaue. Die gewaltige Beschleunigungskraft macht mir so eine Todesangst dass ich, ehrlichgesagt, vor Schreck ein bisschen weinen musste. Nach einer kleinen Schimpftirade auf Mufasser konnte mich aber schnell wieder beruhigen und den Rest des Fluges doch noch genießen.
Zum Abschluss schweben wir über die Ressort-Hotels und am Pool fläzenden krebsroten Engländer in Ölüdeniz hinweg und landen mitten auf der Strandpromenade. Nach 25 Minuten war ich dann doch froh, wieder Boden unter den Füßen zu haben, und kann vor Ekstase und Schwindel kaum stehen. Überschwänglich umarme ich Mufasser und platze vor Freude, dass ich den Mut hatte, mir den Traum vom Paragliding in Ölüdeniz zu erfüllen.
Du möchtest paragliden, aber hast Angst?
- Für Rationalisten gleich mal eine sehr beruhigende Statistik: Im Jahr 2013 gab es bei insgesamt 75.000 Paragliding-Flügen am Babadağ-Berg nur 11 Unfälle. Davon waren nur 3 bei einem Tandem-Flug und keiner davon tödlich.
- Die örtlichen Behörden haben 2015 weitere Sicherheitsmaßnahmen wie Alkoholkontrollen, Equipments-Inspektionen und Sicherheitstrainings eingeführt.
- Das reine Durch-die-Luft-Segeln ist für erfahrene Piloten langweilig und erfordert nicht viel Aufmerksamkeit oder Fertigkeit – sie können nebenbei sogar Fotos und Videos machen. Alles easy!
- Rede mit anderen Reisenden, die den Flug schon hinter sich haben und Dich ermutigen können.
- Der Startplatz auf dem Babadağ ist besonders gut für den ersten Tandemflug – die Bahn ist sehr flach und man hat nicht das Gefühl, von einer Klippe ins nichts zu springen.
- Wenn es dich beruhigt, benutze eine teurere Agentur wie Gravity.
- Versuche, Dir schon in der Agentur einen Piloten auszusuchen und nicht erst oben am Berg. Schau ob die Chemie stimmt und sag ihm klipp und klar dass du keine “Stunts” wie Spins oder Spirals machen möchtest (mach’s besser wie ich…).
Das Wichtigste: Denk’ nicht zu viel nach – tu’s einfach!
Was kostet Paragliding in Ölüdeniz? (2014)
- Eftelya ist einer der günstigeren Anbieter mit 200 Lira (die man aber locker auf 170 Lira runterhandeln kann). Dazu kommen noch 30 Lira Eintritt für den Nationalpark, die man zusammen mit dem Flug bei der Agentur zahlt. Insgesamt kommt man also mit etwas Verhandlungsgeschick auf 200 Lira (ca. 70€).
- Für Fotos und Videos zahlt man extra. Die eigene Kamera darf man anscheinend nicht mehr mitnehmen, weil man sich bei der Landung am baumelnden Apparat verletzten könnte. Mein Pilot hat 100 Lira (ca. 35€) für alles zusammen verlangt, was ganz schön happig ist, aber es liegt im Rahmen dessen was die meisten verlangen. Man hat ja eh keine Wahl. Ali von der Agentur meinte dazu: Wenn du einen reichen türkischen Mann suchst, nimm dir einen Paragliding-Pilot!